Das erste Mal richtig Offroad

Es ist 7:36 Uhr als ich aufwache. Ich fühle mich gerädert und habe nicht wirklich gut geschlafen. Der Boden war uneben, irgendwelche Steine haben meine Hüften gepiesackt. Immer wieder hat es nachts geregnet und die Wegbeleuchtung hat die ganze Zeit bei mir ins Zelt geleuchtet. Es ist warm, gute 23°C. Ich bin verschwitzt und schlecht gelaunt. Das mit der Auswahl des Stellplatzes muss in den nächsten Tagen noch besser werden.

Jetzt aber erst mal Kaffee machen, Brot ist auch noch da. So wird also direkt gefrühstückt, vielleicht hilft das die Laune zu verbessern. Die Bialetti blubbert, der zweite Kaffee ist durch. Ja so ein Frühstück kann einem die Laune deutlich aufheitern. Ich packe langsam zusammen. Das Zelt ist nur leicht feucht, also schnell mit dem Lappen drüber gewischt und weg damit.

Um 09:06 Uhr stehe ich dann am Tor. Ich will raus, aber zwei Wohnmobile versperren mir den Weg. Die Damen und Herren müssen erst noch den Müll wegbringen, den Hund versorgen, noch mal schauen ob auch wirklich alles fest ist. Meine Laune fällt wieder. Naja, wenigstens regnet es gerade nicht. Denn für heute sind immer wieder Schauern angesagt. Egal erst mal los.

Schnell mal ran gezoomt. Ok, ne Brücke, das wird easy. Ich lasse mich überraschen. Ich komme an die Stelle, wo es eigentlich rüber gehen soll. Nix da, keine Brücke. Ein paar alte Fundamente stehen da, das ist aber auch schon alles. Also noch einmal auf der Karte geschaut, die nächste Möglichkeit mit Brücke ist gute 10 km entfernt.

Hmmm, was tun? Ich erkunde erst einmal die Wege die in der Umgebung sind. Der Erste führt auf ein Feld. Sackgasse, das ist frisch gepflügt, da geht es nicht weiter. Der Zweite geht wieder zurück zur Straße, also auch nichts. Nummer Drei ging dann aber doch runter zum Fluss.

Hier habe ich erst einmal angehalten, bin abgestiegen und schauen gegangen. Das Wasser ist nicht wirklich tief, 20 - 30 cm, die Steine sind klein, rund und sehen sauber aus. Die Durchfahrt ist gute 20 m breit. Ich stehe hier und überlege. Durchfahren oder zurück, was tun?

In meinem Kopf sehe ich die ganzen Fahrer aus den YouTube-Videos die da total easy durchbrettern.

Was habe ich da bei den Videos gelernt? Speed ist die Devise. Blos nicht zu langsam werden, dann geht das schon.

Als ich hier so stehe und überlege, wie ich das letzte Stück da rüberkomme, merke ich wie die Strömung am Vorderrad zieht. Beherzt gebe ich Gas, Schwung nehmen und rüber. Das war zumindest der Gedanke. Das Vorderrad stoppt an einem Stein, das Heck dreht sich nach links weg und schon liegt Lucia da. Sie blubbert leise vor sich hin und läuft noch. Ich drücke den Killschalter. Schwupps, Motor aus.

Ich gehe rund ums Mopped. Ok Wasser läuft keins in die Luftfilter. Öl oder Benzin läuft auch nicht ins Wasser also erst einmal eine Sekunde oder auch zwei durchschnaufen. So, und wie jetzt aufheben? Ich stelle mich seitlich daneben, gehe in die Knie, fasse Lucia am Lenker und dem Kofferhalter an. Die Steine sind glitschig. Ich bekomme keinen Halt, rutsche immer wieder weg. Ich richte mich wieder auf und überlege das Gepäck abzumachen. Da steht auch schon ein junger Mann hinter mir und fragt, ob er mit anpacken soll. Ruckzuck steht Lucia wieder auf den Rädern. So einfach ist das dann zu Zweit.

Ich will starten, das letzte Stück vorsichtig mit Motorkraft an das Ufer fahren oder schieben. Aber es passiert nichts.

Sie orgelt, der Anlasser dreht, aber sonst auch nichts. Nochmal, aber auch der zweite Versuch scheitert, sie bleibt tot, da passiert einfach nichts. Ein dritter und letzter Versuch, aber immer noch nichts. Bevor ich hier die Batterie leer georgelt habe schieben wir die Dicke dann lieber ans Ufer. An dieser Stelle noch einmal ein riesiges Dankeschön an den Helfer.

Ich ziehe mich erst mal aus. Wasser aus den Stiefeln, etwas trinken, etwas Essen, Puls runter bekommen, Adrenalin abbauen. Also noch mal ganz langsam. Schlüssel raus, alles aus, Schalter kontrollieren, Schlüssel rein, Zündung an, Knopf drücken und - sie springt sofort an.

Hää, was war denn das? Ach ja! Honda! Wenn die umgefallen ist, dann erst mal Zündung aus, kurz warten und dann wieder starten. Ich hatte versucht ohne die Zündung auszumachen direkt zu starten, echt doof.

Ich stehe hier, nasse Stiefel und nasse Füße, bin frustriert und stinksauer auf mich selber, wie ich der Meinung sein kann, dass bloß, weil man mal etwas gesehen hat, das auch selber kann. Das ist die Sache mit dem Ego. Eine meiner größten Schwächen. Wenn jemand der Meinung ist, dass ich etwas nicht kann, ja auch wenn ich das selber bin, dann erst recht.

So war das damals schon beim Radsport. „Mit 1,93m und 95 kg kann man keinen ambitionierten Radsport betreiben“, so hieß es immer zu mir. Und zwei Jahre später war der 10. Platz bei einem 24h MTB-Rennen im Zweierteam (wir sind beide die gleiche Rundenzahl gefahren) einer meiner größten Erfolge. So auch hier einmal wieder. „Du kannst doch nicht als Anfänger direkt TET in den Alpen fahren, mach erst mal einen Kurs“, blablabla.

Irgendwie stachelt mich so etwas eher an, als dass es mich zur Vernunft bringt. So bin ich halt. Naja, eben schauen, alles heile geblieben, außer das Ego, da ist eine riesige Ecke raus.

So, weiter geht's, ich bleibe auf dem TET. Kurze einfache Straßenabschnitte wechseln sich mit Schotter ab. Rechts abgebogen weisen die Schilder auf ein Refugio hin, MTB-Strecken sind ausgeschildert, der Schotter wechselt langsam zum einem ruppigen ca. 1 Meter breiten Weg. Loses Geröll, Steinplatten und Stufen kommen dazu.

Ich halte mehrmals an, und denke einmal wieder drüber nach, ob das alles so richtig ist, was ich hier tue.

Ich entscheide mich dazu erst mal bis zur nächsten Straße zu fahren. Dann schauen wir weiter. Es folgen kleine asphaltierte Wege, kleine Dörfer, wo man sich fragt, ob da noch jemand wohnt (alles sieht leer und verlassen aus). Wo arbeiten die, wovon und wie leben die?

Die ganzen Eindrücke lassen mich die Strapazen vom vergangenen Uphill vergessen. Es geht weiter auf den Trails, die meiste Zeit einfache Wald- und Wiesenwege.

Unterwegs musste ich insgesamt vier Mal umdrehen weil der Weg entweder durch Bäume versperrt war oder neue Verbotsschilder aufgehängt wurden.

So langsam wollte ich mich in Richtung Unterkunft für die Nacht orientieren. Nur den einen Trail noch, quengelt da mein kleines verspieltes Ich. Ok, dann aber dann wirklich nur noch Straße.

Los rein da, das ist easy! Leichter Uphill und Waldboden, da sind wir schnell wieder an der Straße. Der Weg wird immer verblockter, die Steine größer, aber es läuft. Uihhh, das ist aber steil da runter, schön langsam. Linienwahl kann ich ja vom MTB. Da kommt der Gegenanstieg, Gas geben, dranbleiben, geschafft, oben.

Na toll, hier ist eine riesige Kreuzung. Und wo jetzt lang? Kaum GPS-Empfang, man erkennt nichts auf der Karte. Also Ausschlussverfahren. Es sind 5 Wege an der Kreuzung, Nummer eins bin ich gekommen, fällt schon mal aus. Also rechtsrum: es geht wieder ein wenig runter, nach 200 m sagt das Navi dann: „Nööö, du bist falsch!“

Ich komme an das Stück an dem ich vorhin noch gedacht habe: „hoffentlich musst du da nicht wieder hoch“. Erster Gang rein, Anlauf und nach nicht einmal 15 m ist schon wieder Ende. Das Hinterrad dreht durch, da ist nichts mehr mit Traktion. Langsam rückwärts runter rollen. Fahrmodus nochmal kontrollieren. Offroadmodus und Traktionskontrolle aus, so müsste das passen. Also doch mehr Anlauf. Diesmal waren es vielleicht 18 m, aber trotzdem nichts. Da geht es bestimmt noch 25 oder 30 m weiter rauf. Wir beide sind einfach zu schwer für sie Steigung, was wohl an den schweren Knochen bei mir und dem vollen Tank bei Lucia liegen wird. Nicht dass noch jemand denkt wir wären zwei Moppelchen.

Was also nun? Doch wieder zu der tollen Kreuzung? Ein Weg war ja dabei auf dem ich hätte weiterfahren können. Ich mache die Karte auf dem Handy größer und schaue, ob ich später wieder auf eine Straße stoßen kann. Ja, das sollte gehen, es sind Wege zu erkennen.

So fahre ich los und habe knappe 25 Minuten später dann endlich wieder Asphalt unter den Rädern.

Ich bin erleichtert und echt platt als ich um kurz nach sechs an einem Supermarkt mir mein Abendessen hole. Es gibt einen Fertigsalat, ein Brot mit Oliven drin und ein Stück Fleisch für die Pfanne.

Es sind nur noch 18 km bis zum Campingplatz, das reicht dann auch für heute.